Deutschland sucht den digitalen Impfpass

media:acquia_dam_asset:51a5ebde-edca-454a-8352-edbf9c505a72

Ein digitales Fundament für das deutsche Gesundheitssystem

Die Covpass-App steht seit Donnerstag, dem 10. Juni zum Download bereit. Erfreuliche Nachrichten, weil wir uns nun nicht mehr auf unseren alten, in die Jahre gekommenen gelben Impfpass verlassen müssen, der seine besten Tage schon lange hinter sich hat und leicht gefälscht werden kann. Die Covpass-App ist die deutsche Antwort auf den in der EU beschlossenen europäischen Impfpass, mit dem das Reisen innerhalb der EU diesen Sommer erleichtert werden soll. Dieses Mal war Deutschland recht schnell am Start mit einer digitalen Antwort auf das veraltete Papier-Impfpassproblem und auf die Frage, wie man eine EU-weite Nachvollziehbarkeit schaffen kann. Lediglich 7 EU-Länder haben hier bereits eine Lösung auf den Markt gebracht – neben Dänemark, Kroatien, Bulgarien, Griechenland, Polen und Tschechien gehört dieses Mal auch Deutschland zu den Early Adopters. Selbst das deutsche Dauerbrenner-Thema Datenschutz und Datenhaltung wurden soweit zufriedenstellend geklärt. Trotzdem: wenn man in die Details dieses Impfpasses – oder besser eigentlich – Impfzertifikates schaut, dann erkennt man doch einige Punkte, die nicht stimmig sind:

  1. Das digitale Impfzertifikat ersetzt natürlich nicht den alten gelben Papierimpfpass, sondern ist lediglich eine Bestätigung über die eine – zugegebenermaßen derzeit allerwichtigste Impfung, die in dem Impfpass derzeit nachzuschlagen wäre. Am Ende ist es “einfach” ein QR-Code, der auch in ausgedruckter Form funktioniert und der, derzeit noch losgelöst von allem, für die erfolgte 2-Fach Impfung ausgestellt wird.
  2. Das Zertifikat kommt mit einem enormen Versatz – es sind ja bereits 24,8 % aller Deutschen vollständig geimpft (Stand: 11. Juli 2021). Und weil es kein zentrales digitales Impfregister gibt, stellt sich die Frage, wie man die nun fast 21 Millionen (=24,8 %) Deutschen jetzt noch kurzfristig digital erfassen kann.
  3. Es herrscht noch lange keine Einigkeit darüber, ob so ein digitales Impfzertifikat wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. Neben den ethischen Diskussionen, die wir auch in Deutschland haben, ist unklar, was mit dem Nachweis passiert, wenn der Impfschutz abgelaufen ist. In Israel – einem der Länder, die bereits frühzeitig einen digitalen Impfnachweis entwickelten– ließen sie ihn lt. Presseangaben Anfang Juni schon wieder fallen (weil die niedrigen Infektionszahlen zu dieser Zeit einen Nachweis anscheinend nicht mehr notwendig machten). In den USA wird schon seit einiger Zeit darüber diskutiert, ob ein Impfnachweis verpflichtend sein sollte oder nicht.

Bei allem Lob, das man für die Tatsache haben kann, dass Deutschland dieses Mal schnell reagieren konnte, bleibt in Anbetracht dieser Punkte immer noch die Kernfrage, wie schnell die digitale Lücke in unserem Gesundheitssystem geschlossen wird und man sich weg von Insellösungen bewegen kann, die viel Geld und Ressourcen verbrauchen und nur punktuell und schlimmstenfalls auch nur für kurze Zeit Sinn stiften. Wir benötigen dringend einen digitalen Gesamtansatz für unser Gesundheitssystem. Dänemark macht es uns vor: Kern des digitalen Gesundheitssystems dort ist schon seit 2003 das digitale Gesundheitsportal www.sundhed.dk. Bei Geburt erhält der neue dänische Bürger eine digitale Identität – eine Identifikationsnummer – mit der er sich jederzeit in dem Portal anmelden kann und ab 15 Jahren all seine medizinischen Daten und Informationen findet. Damit ist es für die Dänen auch selbstverständlich, sämtliche COVID-Befunde dort abzurufen und wenn es um Neuentwicklungen geht wie zum Beispiel das Impfzertifikat, dann ist es ihnen ein Leichtes auf Basis der vorhanden Infrastruktur Neues einzuführen. So waren die Dänen im Februar 2021 auch ein weltweiter Vorreiter als sie die Verfügbarkeit eines solchen Zertifikates auf ihrem Gesundheitsportal ankündigten.

Welche Ansätze für einen (vollständigen) digitalen Impfpass gibt es in Deutschland?

Das Gesundheitssystem in Deutschland ist komplizierter, weil – im Gegensatz zu einem zentralen staatlichen Gesundheitssystem, wie es Dänemark beispielsweise hat – unseres föderalistisch organisiert ist und damit viel mehr Beteiligte und Zuständigkeiten hat. Die elektronische Patientenakte (ePA) ist dabei zur Zeit das Kerndigitalisierungsprojekt für die deutsche Gesundheitsbranche. In einem der letzten Artikel hatten wir beschrieben, wie die ePA konzipiert ist und welche (dezentrale) Rolle das Thema Identitätsmanagement dabei spielt: der digitale Impfpass ist innerhalb dieser ePA ein Teilprojekt (neben anderen Themen wie z.B. dem Mutterpass oder dem Zahnarztbonusheft), an dem die Kassenärztliche Vereinigung arbeitet. Diese kümmert sich um die behandelnden Ärzte und Psychotherapeuten und um die Fragestellung, wie die Leistungen, die in den Praxen erbracht werden, einfach und konsistent digital erfasst werden können. In einer Presseerklärung aus dem letzten Jahr hat die Bundeskassenärztliche Vereinigung den digitalen Impfpass bereits angekündigt. Er wurde als erstes “MIO” (= medizinisches Informations-Objekt) diskutiert, definiert und festgelegt und soll ab 2022 in der elektronischen Patientenakte zur Verfügung gestellt werden. Wie auf ein oder künftig dann vielen verschiedenen MIOs innerhalb der ePA letztlich zugegriffen wird, das wiederum regelt das Zugriffs- bzw. das digitale Identitätsmanagement. Seine Aufgabe ist es, analoge Interaktionen einfach und gleichzeitig absolut sicher, sehr feingranular sowie datenschutzkonform in die “digitale” Welt zu bringen. Denn Menschen, die im Gesundheitssektor arbeiten, wollen auch mit einer ePA und vielen verschiedenen MIOs nicht einen Großteil ihrer Zeit mit der Bedienung und Verwaltung digitaler Daten verbringen. Noch erfordern diese Projekte eine Menge Abstimmungsbedarf, wie man in der Presseerklärung nachlesen kann:

“In einem transparenten Verfahren, das mit der öffentlichen Kommentierung am 16. Januar (2020) begann und mit der Benehmensherstellung beteiligter Verbände am 16. Juni (2020) endete, definierte die KBV unter Einbindung vieler Experten einen Standard für die elektronische Übertragung und Speicherung von Impfdaten. Die KBV bekam zahlreiche hilfreiche Hinweise für die Erstellung des MIO Impfpass – 380 Kommentare von fast 50 Organisationen wurden abgegeben, bewertet und konnten größtenteils übernommen werden.”

Das alles deutet darauf hin, dass wir mit der ePA 2.0 im Jahr 2022 endlich eine wirklich große digitale Lücke in unserem Gesundheitssystem schließen könnten und Silo-Applikationen wie die Covpass-App künftig hoffentlich der Vergangenheit angehören und höchstens in einem weiteren MIO enden werden. Der Ausnahmezustand, mit dem wir seit inzwischen über einem Jahr konfrontiert sind zeigt uns auch bei diesem Projekt, dass es keinen Weg zurück geben wird in unseren alten, doch recht analogen Gesundheitssektor. Digitalisierung und vor allem ein gutes Fundament dafür wird uns zu einer dringend erforderlichen gesteigerten Agilität, Effizienz und Schnelligkeit in diesem Bereich verhelfen.